Die Erft - Anmerkungen zu unserem heimischen Fluss

Die Erft - Anmerkungen zu unserem heimischen Fluss

Im Zusammenhang mit der Recherche zum Weilerswister Mühlenbach stieß ich auf eine alte Karte von Vernich. Nicht gerade maßstäblich, aber man konnte sich orientieren. Nur der dargestellte Verlauf der Erft ließ sich beim besten Willen nicht mit der heutigen Wirklichkeit in Einklang zu bringen.



 

Das war für mich der Anlass, mich anhand von Unterlagen des Erftverbandes und der Bezirksregierung ein wenig mit unserem heimatlichen Fluss zu beschäftigten. Ich glaube, ein paar für mich neue und ggf. auch für andere interessante Informationen gefunden zu haben. Etwa die Tatsache, dass der Fluss so ziemlich an keiner Stelle seines Weges bis zur Mündung sein natürliches Flussbett behalten hat und schon seit über einem Jahrtausend durch menschliche Eingriffe stetig verändert und nutzbar gemacht worden ist. So hat die ursprünglich knapp 140 km lange Erft ein Drittel ihrer Länge durch Begradigung verloren. Ein paar solcher geografischer, historischer und naturwissenschaftlicher Fakten möchte ich in loser Folge darstellen, heute beginnend mit dem erdkundlichen Lexikonwissen über den Fluss.


Geografisches

Die Erft entsteht durch den Zusammenfluss zweier Bäche, die beide den gleichen vielsagenden Namen "Kuhbach" tragen, im Ahrgebirge am Nordrand der Eifel in 414m  Meereshöhe. Sie mündet nach gut 100 km Flusslauf in Neuss-Grimlinghausen in 26m Meereshöhe in den Rhein. Typisch: Selbst diese Mündung ist von Menschenhand verändert, sie wurde im Jahr 1475 im Zuge einer kriegerischen Auseinandersetzung verlegt.
Wenn die Erft kurz vor dem Abgang Lommersumer Mühlengraben in ca.140m Höhe in das Weilerswister Gemeindegebiet  eintritt, hat sie den Großteil ihres Gefälles schon hinter sich. Bis zur Einmündung der Swist am nördlichen Rand des Gemeindegebietes wird sie nur noch um 35m fallen. Diese geringe Fallhöhe wird hinsichtlich ihrer Rolle als Energielieferant für Wassermühlen von Bedeutung sein. Bis kurz vor Euskirchen hat die junge Erft den Charakter eines Mittelgebirgsbaches, mit dem Eintritt in die Ebene wandelt sie sich in einen typischen Flachlandfluss mit äußerst geringem Gefälle. Die Erft floss hier früher sehr langsam in großen mäanderförmigen Schleifen. Bei Hochwasser brachte sie Unmengen von Schlamm mit sich, verstopfte nicht selten damit ihr eigenes Flussbett und musste sich ein neues suchen. Man kann sich die gesamte Erftniederung als eine sumpfig feuchte Auenlandschaft vorstellen. Es ist kein Wunder, dass von Alters her die Siedlungen und Wege wenige Meter oberhalb der Niederung rechts und links der Erftauen angelegt wurden. Die gewaltigsten Eingriffe in den natürlichen Lauf der Erft geschahen im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, allen voran durch den Braunkohletagebau. Auch in unserem Gebiet wurde durch Begradigung und Befestigung des Flussbettes erst zwischen 1850 und 1980 die jetzige künstliche Gestalt des Flusslaufes geschaffen. Erst dann setzte das Umdenken hin zu ökologischer Betrachtungweise ein, aber selbst zwischen 1950 und 1980 wurde der Flusslauf noch um 4 km verkürzt.
http://daten.flussgebiete.nrw.de/bestandsaufn/daten/erft/tab/tab1_2_4.pdf



Das Flussgebiet der Erft

Fluss und Mühlengräben als Lebensadern

Die Gemeinde Weilerswist liegt in einem äußerst fruchtbaren Landstrich, der genau deswegen mindestens seit der Römerzeit immer dicht besiedelt war. Die Gegend ist allerdings mit ca. 650 Litern Regen auf den Quadratmeter pro Jahr eine der regenärmsten Gebiete in Deutschland. Hier gibt es „Bäche“ mit stolzen Namen wie Müggenhausener- oder Straßfelder Fließ, deren Namenszusatz „Fließ“ wohl eher den Charakter eines Wunsches hat als dass er die Wirklichkeit beschreibt. Den größten Teil des Jahres fließt da nämlich gar nichts und sind diese sogenannten Gewässer absolut trocken. Nun brauchte der Mensch neben Nahrung auch Wasser, nicht nur zum Trinken für sich und das liebe Vieh, sondern auch Brauchwasser. Zum Gießen des Gartens, zum Wäschewaschen, wenige sogar zur Körperpflege und zum Baden, zumindest in der wärmeren Jahreszeit.
Es war also höchst zweckmäßig, ein Fließgewässer in der Nähe zu haben, auch um Fischteiche zu betreiben und die Wassergräben der vielen Wasserburgen zu füllen. Der Wunsch nach fließendem Wasser in der Nähe der Wohnung veranlasste die Bewohner von Bad Münstereifel schon im 13 Jahrhundert, die Erft umzuleiten und mitten durch die Stadt zu führen, was bei einem schrecklichen Hochwasser im Jahre 1416 über Hundert Menschen das Leben kostete.
Genau diese Gefährdung umgehen die zahlreichen Mühlengräben im Mittellauf der Erft, die den Fluss von Euskirchen bis Erftstadt begleiten. Es sind von Menschenhand gegrabene Gewässer von beträchtlicher Länge, teilweise über 10 km lang. Neben dem Antrieb von Mühlen erfüllten sie auch den Zweck der wohnortnahen Wasserversorgung, ohne dabei die Gefahr häufiger Überschwemmungen zu vergrößern. An vielen Stellen wurden hölzerne Wehre als Quersperren in den Fluss gebaut, um aus dem Stau eine kontrollierbare Menge Wasser in einen Mühlengraben umzulenken: bei Niedrigwasser ggf. fast das gesamte Erftwasser, bei Hochwasser nur soviel, wie der Betrieb der Mühlen erforderte. Die überschüssige Menge konnte mehr oder weniger gefahrlos den Weg über das eigentliche Flussbett nehmen, in dessen unmittelbarer Nähe wegen der häufigen Überschwemmungen ohnehin niemand siedeln konnte. Genauso wichtig war der namensgebende Zweck eines Mühlenbachs: aus der Lageenergie und der Bewegungsenergie des Wassers über Mühlräder mechanische Energie zu gewinnen, um ohne den Einsatz von körperlicher Kraft durch Tiere oder Menschen schwere Mühlsteine in Bewegung zu setzen. Dabei ist die zu gewinnende Energie nach heutigen Maßstäben vergleichsweise bescheiden, kein Mensch käme heute auf die Idee, dafür von Hand 10 km Mühlengraben auszuheben. Ganz nebenbei: Auch die in vielen Liedern romantisch verklärten Wassermühlen stellen eine erheblichen Eingriff in die Natur dar, man denke etwa an wandernde Fische. Anders als im Rhein oder der Sieg gab es in der Erft schon vor tausend Jahren keine Lachse. Einfach wegen der unzähligen hinderlichen Wehre.
Weitergehende Infos
http://www.klimaatlas.nrw.de/site/nav2/Niederschlag.aspx?P=2
http://steffenreichel.homepage.t-online.de/Muehlen/Wehrbauten.html
http://www.rundschau-online.de/region/kreis-euskirchen/erft-hochwasser--absolute-sicherheit-gibt-es-nicht--423970

Bad Münstereifel

Abgang zum Weilerswister Mühlengraben am Wehr Steinrausche


Ein Fluss als Energiespender

Anders als in den Bergen ist das Gefälle der Flüsse und Bäche bei uns im Flachland sehr klein. Wegen der geringen Regenmenge ist auch der Durchfluss der Erft, mal von Hochwassern abgesehen, nicht gerade gewaltig.
Man muss deshalb durch Wehre das Wasser anstauen und dann über lange Wege Gefälle sparend zum Mühlrad leiten, um dort seine Fallenergie zu „ernten“. Durch Mühlteiche konnte man in kleinem Rahmen für Trockenzeiten oder Leistungsspitzen Wasser bevorraten. Die erzielbaren Leistungen im Bereich von 1 bis 5 KW sind für uns heute bescheiden, selbst Mittelklasseautos haben 100 KW und mehr. Warum dann dieser Aufwand für so „wenig“ Erfolg? Ganz einfach, es gab nichts anderes. Weder die Dampfmaschine noch Verbrennungsmotoren noch Elektrizität waren erfunden. Wärmeenergie zum Kochen und Heizen stand mit Holz und in veredelter Form etwa zum Schmieden als Holzkohle zur Verfügung. Mechanische Energie gab es nur in Form von tierischem oder menschlichem Krafteinsatz. Dieser ist wiederum nur möglich, wenn ausreichend „Kraftstoff“, sprich Nahrungsmittel vorhanden sind. In Zeiten, wo 85 Leute in der Landwirtschaft arbeiten mussten, um sich selbst und nur 15 weitere zu versorgen, war auch Muskelkraft nur beschränkt verfügbar und ein kostbares Gut.
Mühle am Neffelsbach aus memorandum erft ...


Die Idee, die Wasserkraft zu nutzen, haben wahrscheinlich die Römer mitgebracht. Hölzerne Bauweise und Hochwasser haben jedoch keine Zeugnisse aus den ersten Jahrhunderten hinterlassen. Die älteste Mühle innerhalb des Flusssystems der Erft wurde 2005 in Niederberg gefunden, die nach naturwissenschaftlicher Untersuchung ihrer hölzernen Bauteile aus den Jahren kurz nach 833 stammen muss. Von vielen weiteren Mühlen wissen wir aus alten Dokumenten, die erste urkundliche Erwähnung aus dem Jahre 846 für zwei Mühlen am Eschweilerbach, einem oberen Zufluss der Erft. Es folgen 893 Erwähnungen von Mühlen in Kreuzweingarten, Wichterich und Großbüllesheim, letztere am Erftmühlenbach, dessen Alter sich damit auf mehr als 11 Jahrhunderte beläuft. Es folgen im 11. und 12. Jahrhundert dann zahlreiche Erwähnungen, es seien hier nur Bad Münstereifel 1112 oder Bliesheim 1250 genannt. Wenn sowohl flussaufwärts wie abwärts Mühlen existierten, so ist es sehr wahrscheinlich, dass es auch dazwischen auf Weilerswister Gebiet Mühlen gab, auch wenn es an so frühen urkundlichen Erwähnungen fehlt. Vom Hochmittelalter bis zur beginnenden Neuzeit verfeinerte sich die Mühlentechnik und der Wirkungsgradder Mühlräder verbesserte sich. Neben ihrer klassischen Aufgabe als Korn- und Ölmühlen entwickelte sich die Wasserkraft zu einer breiter einsetzbaren Antriebsform, etwa für mechanische Hammerwerke in Schmieden, als Walkmühle, Knochenmühle etc., bei der Produktion von Papier, Porzellan oder als Antriebsmaschine für Sägewerke. Mit der Verbreitung von Dampfmaschinen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging die lange Geschichte der Erftmühlen zu Ende. Nur einige noch intakte Mühlengräben und ein paar Straßennamen erinnern uns daran.

Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft J. G. Krünitz 1772 ff.



Messstand für Mühlenräder nach Krünitz


https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserrad
http://www.erft.nrw.de/img_auth.php/9/93/RT_ERF_PE1100_2008_04_22_Memorandum.pdf

Alles hat seinen Preis – Ökologischer Zustandsbericht

Wenn nicht gerade wegen eines Unwetters im Quellgebiet Hochwasser herrscht und der Fluss verschlammt ist, dann wirkt das Wasser der Erft erstaunlich klar und man könnte meinen, es wäre auch sauber. Na ja! Trinken sollte man es nicht, zumindest nicht ständig. Alle Gewässer werden nach einheitlichen Vorgaben der EU hinsichtlich ihrer Wasserqualität, den Bestand an Kleinlebewesen und Fischen und den Grad ihrer Naturbelassenheit beurteilt. Für jedes Gewässer, selbst für die trocken liegenden, wird so fair ein „Steckbrief“ zur Bewertung erstellt. Was die „Natürlichkeit“ des Flusslaufes angeht, wurde schon hinreichend berichtet. Der Fluss ist ein weitgehend verändertes Gewässer und hat entsprechend schwache Bewertungen. Auch die Wasserqualität gerade im Weilerswister Gemeindegebiet ist nicht besonders gut. Der Veybach trägt größere Mengen Schwermetalle (Blei, Cadmium etc.) in die Erft, die noch von der längst aufgegeben Förderung von Bleierzen im Raum Mechernich herrühren. Durch die Intensivlandwirtschaft ist der Fluss mit Phosphorverbindungen aus Kunstdüngern belastet. Die Folge ist, dass weder Kleinstlebewesen noch Fische sich hier wirklich wohlfühlen. Die Gesamtqualität ist nicht besorgniserregend, aber nur mäßig. Zum Trost, es wird besser. In den beiden vergangenen Jahrhunderten war es durch die hemmungslose Industrialisierung wirklich viel schlimmer. Die Erft nahm neben den genannten Schwermetallen auch sonstige Abwässer der Industrie und die ungeklärten Fäkalien einer ständig wachsenden Bevölkerung auf. Die Begradigungen und die Trockenlegung der Erftauen schmälerte zudem die Selbstreinigungskräfte des Flusses, schaffte auf der anderen Seite aber nutzbares Land und neuen Baugrund. Stromabwärts verstärkte der Braunkohletagebau und das Kühlwasser der Kraftwrerkebdie Entfernung von einem gesunden natürlichen Zustand, obwohl doch eigentlich sauberes Grundwasser in großen Mengen zugeführt wurde. Die Durchschnittstemperatur der Erft wurde erhöht, dass sich fremde Pflanzen und Tierarten im Unterlauf ausbreiten konnten. Es hat bereits und wird noch Unmengen an Geld und Mühe kosten, einen naturnäheren Zustand der Erft zu erreichen- Stichworte sind „Klärwerke“ und „Renaturierung“.
Am Beispiel des Mühlenwesens an der Erft zeigt sich beispielhaft die Problematik jeden menschlichen Eingriffs in die Natur, der auch ganz ohne Großtechnologien nicht folgenlos bleibt. Alles hat seinen Preis. Neben dem Lindenbaum am Brunnen vor dem Tore ist wohl kaum ein Gegenstand in der Romantik so „verkitscht“ worden wie die sprichwörtliche klappernde Mühle am rauschenden Bach. Ein Zurück zu romantisch verklärten alten Zeiten kann es nicht geben. Die Erftauen sind bebaut und professionell gegen Hochwasser geschützt. Wer wollte das aufgeben? Also kein Grund zu romatischer Verklärung.
Nüchtern betrachtet sind Mühlen frühe Meisterleistungen des Wasserbaus und der Mechanik. Allein das rechtfertigt ihren Schutz und Erhaltung und weitere Erforschung als wertvolles Kulturerbe.
Das renaturierte Erftstück in Weilerswist wird als Muster für gelungene Renaturierung betrachtet

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Sehr umfangreiche wissenschaftliche Quelle dazu :  http://daten.flussgebiete.nrw.de/bestandsaufn/daten/erft/kap_1/kap_1_6.html
http://daten.flussgebiete.nrw.de/bestandsaufn/daten/erft/abb/abb2_1_3_6_8.pdf
http://daten.flussgebiete.nrw.de/bestandsaufn/daten/erft/abb/abb2_1_3_3_2.pdf
Umfangreiche Darstellung (über 200 Seiten) für weitergehende Infos:
http://www.flussgebiete.nrw.de/img_auth.php/8/88/PE-Stb_2016-2021_Erft_final.pdf
http://daten.flussgebiete.nrw.de/bestandsaufn/daten/erft/tab/tab1_2_4.pdf




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