Verstädterung

Der Prozess der Verstädterung von Weilerswist verläuft schleichend schon seit Jahrzehnten. Das inzwischen für diverse Stellen diskutierte Thema einer "Parkraumbewirtschaftung" ist nur eines der vielen Indizien dafür. 
Zumindest in Weilerswist-City und Groß Vernich liegt die heile Welt einer dörflichen Umgebung schon länger hinter uns. Hier sind vor allem in den vielen Mietwohnungen zugezogene Neubürger lange in der Mehrheit.

In einem dörflichen Umland  verläuft die gesellschaftliche und bauliche Entwicklung sehr langsam; Fehlentwicklungen oder Gefahren können hier oft durch soziale Kontrolle und bürgerschaftliches Engagement vermieden werden. Ein Dorf kann man sich einfach "natürlich" entwickeln lassen, Fehler sind oft selbstheilend.
Man kennt sich, die soziale Schichtung ist stabil, neue Wege etwa entstehen einfach durchs Gehen, ganz ohne Verkehrskonzept. In einem solchen Umfeld sind viele unserer Ratsmitglieder geprägt worden.

Eine verdichtetes Siedlungsgebiet dagegen verändert sich nicht nur ungleich schneller, sondern auch unkontrollierter. Soziale Kontrolle wird durch Anonymität verdrängt und bürgerschaftliches Engagement geht zurück. Die Nachwuchssorgen von Vereinen oder der Freiwilligen Feuerwehren resultieren zumindest zum Teil daher. Stadtentwicklung bedarf einer Planung, eine Stadt wächst nicht mehr "natürlich" und selbstregulierend, sondern sie wuchert selbstzerstörerisch wie ein Krebsgeschwür, wenn dem Wachstum keine vernünftige Planung unterlegt wird. Fehler bei der Besiedlung sind nicht mehr selbstheilend, sondern schaukeln sich gegenseitig hoch bis zum Kollaps, sei es im Verkehr durch Staus oder im sozialen Miteinander. Ghettos sind die extremste Form der sozialen Fehlentwicklung. Lange Rede, kurzer Sinn: In sich verdichtenden Siedlungsräumen bedarf es einer professionellen Stadtentwicklungsplanung für die gesamte Infrastruktur: Straßen, Schule, KiTas Versorgung etc..

Gibt es so etwas wie Stadtentwicklungsplanung in Weilerswist? Ich erlebe, wie die Verwaltung fast jedes Jahr aufs Neue über die Anzahl der Kinder in KiTas oder Schulen überrascht wird. Ich stelle fest, wie erst jüngst errichtete Neubauten im Folgejahr zu teuren Preisen erweitert werden müssen. Man ist ständig vollauf damit beschäftigt, auf Überraschungen zu reagieren, die dadurch hervorgerufen werden, dass man auch zuvor nur auf Überraschungen reagiert hat, statt auch nur ins übernächste Jahr zu schauen.

Zusammenfassend: Ich sehe mehr Reaktion als geplante Aktion. Und selbst wenn von Seiten eines Bauträgers vernünftige Planungen etwa für eine ortsnahe Grundschule oder KiTa vorliegen, dann beeilt sich die Politik, diese Ausgaben einzusparen und für andere Zwecke zu verwenden. Nicht, dass es seitens der Politiker im Rat an gutem Willen und Einsatzbereitschaft fehlte, aber: was in einem dörflichen Umfeld bisher immer hervorragend funktionierte, genügt den Anforderungen einer modernen Stadtplanung nicht mehr. Man kann nicht mit dem Horizont eines Dorfes eine Stadtentwicklung gestalten, schon gar nicht im Geiste einer Kirchturmspolitik. Es ist keineswegs sinnvoll, wegen vermeintlich "gerechter" Gleichbehandlung knappe Mittel mit der Gießkanne über die Ortteile zu verteilen. Planen heißt auch Schwerpunkte setzen. Nicht jeder Ortsteil braucht einen eigenen Kunstrasenplatz, eine eigene Feuerwehr oder was auch immer.

Es ist nicht sinnvoll, dass der Rat Detailentscheidungen etwa über die Form und Lage von Drempeln in Süd, Parkbuchten in Vernich oder Poller in Weilerswist stundenlang diskutiert, während weitreichende Grundsatzentscheidungen wie "Supervernich" eher am Rande behandelt werden und auch ohne Abstimmung schon entschieden scheinen. 
Leider kommt erschwerend hinzu, dass sich die politischen Parteien systembedingt oft genug gegenseitig blockieren und die Zusammenarbeit zwischen Verwaltungsspitze und Rat überhaupt nicht befriedigend funktioniert. Solange man mehr gegeneinander als miteinander arbeitet, der Rat sich als Opposition versteht und nur auf Fehler der Verwaltung lauert, während die Bürgermeisterin ihre "Politik" möglichst im Geheimen in kleinen Zirkeln und mit Überraschungsmoment praktiziert, werden wir auf vielen Politikfeldern, sicher aber auf dem Gebiet einer professionellen Stadtplanung, noch bis zu Neuwahlen warten müssen. Bis dahin bleibt es dabei, dass die Angebote an Infrastruktur "auf Kante genäht" sind, also Infrastrukturangebote kaum Reserven haben, um unvorhersehbare Dinge abzufedern. 
hpb 28.5.17